Julia M.

"Ich schleppte mich durch den Tag und fühlte mich innerlich wie erstarrt"

Silas war ein Wunschkind gewesen. Obwohl die Schwangerschaft durch einen Umzug und weitere Faktoren nicht ohne Stress verlaufen war, freute sich Julia M. sehr auf ihr erstes Baby und konnte es kaum abwarten, Silas endlich in den Armen zu halten. Der ersehnte Tag verlief dann aber vollkommen anders als geplant. Trotz stundenlanger Wehen ging der Muttermund nicht auf und Silas konnte somit nicht auf natürlichem Wege auf die Welt kommen.

Zudem empfand Julia M. die wenig einfühlsame Hebamme im Kreißsaal als eine große Belastung.Als dann plötzlich die Herztöne von Silas schlechter wurden, blieb nur noch der Notkaiserschnitt und somit Hektik und piepsende Geräte statt einer besinnlichen Geburtsatmosphäre. Als Silas dann endlich gesund auf der Welt war, fühlte sich seine Mutter von der Situation völlig überfahren. "Mir hat einfach etwas gefehlt", erzählt sie und verspürte neben der Freude über ihren kleinen Sohn mit einem Mal auch eine große Leere und Trauer. Tagsüber waren für diese Gefühle kein Platz - aber nachts flossen die Tränen. Hinzu kam, dass Silas in der ersten Zeit viel schrie und sehr unruhig schlief.  Julia M. schleppte sich durch den Tag und schaffte es irgendwie, ihr Baby zu versorgen. "Aber innerlich", erzählt sie weiter "fühlte ich mich wie erstarrt".

Julia M. machte das, was in ihrer Situation nur wenige Frauen schaffen. Sie registrierte, dass etwas "überhaupt nicht in Ordnung" war und holte sich Hilfe: Bei ihrem Hausarzt, der ihr eine Psychotherapie verordnete und bei einem Neurologen. Zu diesem nahm sie auch ihren Mann mit, damit er "von fachkundiger Seite über den Zustand seiner Frau informiert wird". Nach und nach schaffte sie es, die schwierige Geburt zu akzeptieren und sich von dem Erlebnis zu erholen. Und sie suchte auch das Gespräch mit dem behandelnden Arzt und der Hebamme im Kreißsaal, um ihnen zu berichten, wie sie Geburt empfunden hatte. Vor allem die Hebamme reagierte sehr überrascht, erinnerte sich dann aber daran, an diesem Tag unter persönlichen Problemen gelitten zu haben. "Gelitten habe ich auch!", entgegnete Julia M. nur. Die Begegnung sei für sie sehr wichtig gewesen, um mit der ganzen Geschichte abzuschließen. Von ihrem Mann hat sie sich inzwischen getrennt. Ob die Krise nach der Geburt einen Anteil an der Trennung hat, kann sie nicht sagen.

Aber sie weiß jetzt, was sie anders gemacht hätte. "Es wäre gut gewesen, wenn ich mich vorher schon einmal mit dem Thema Kaiserschnitt auseinandergesetzt hätte! Dann hätte ich mich nicht so hilflos und überfahren gefühlt und dann wäre vielleicht auch der empfundene Kontrollverlust nicht so schlimm für mich gewesen".

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Nicole P.

"Das ganze Chaos begann mit diesem wundervollen Kind"

"Vom ersten Tag an habe ich mich mit dem Wissen um meine Schwangerschaft überfordert gefühlt. Körperlich ging es mir sehr gut. Aber diese Vorstellung, mich auf etwas eingelassen zu haben, das ich nicht wirklich planen kann und das nie mehr aufhört, war irgendwie schrecklich. Ich bin ein sehr strukturierter und gut organisierter Mensch. Von daher fiel es mir schwer, das Chaos in meiner Seele zu benennen."

"Auch unsere Tochter hatte bis zum Schluss wohl keine Lust in eine Welt zu kommen, in der ihre Mama ständig am Weinen und Grübeln ist. Sie saß von Anfang an mit ihrem kleinen Po im Becken und machte keine Anstalten sich zu drehen. Alle erdenklichen Maßnahmen - wie Akkupunktur, moxen oder indische Brücke - halfen nichts, sie saß  fest! Da ich auf keinen Fall einen Kaiserschnitt wollte, haben wir uns zu einer äußeren Wendung entschlossen. Unsere Kleine kam dann nach 18 Stunden Dauerwehen, die nichts am Muttermund bewirkten, drei Schichtwechseln, Wehen hemmenden sowie dann auch Wehen stimulierenden Medikamenten, nach einer PDA, die zum Schluss nur noch einseitig wirkte, und nach der Drohung des Arztes, sie doch per Kaiserschnitt zu holen, wenn sich in der nächsten Stunde nichts tut, gesund und munter zur Welt."

"Nach der Geburt kümmerte ich mich um die Kleine, stillte sie und lebte einen äußerst akribischen Wahn. Ich dachte mir, jetzt bin ich zu Hause, also muss auch die Wohnung ordentlich sein. Die Kleine schrie anfangs viel, auch nachts und mein Mann hat einen sehr gesunden Schlaf. Mich selber und meine Bedürfnisse stellte ich ganz hinten an. Ich fand weder Zeit noch Muße zum Essen oder Schlafen. Acht Wochen nach der Geburt lag ich bereits fünf Kilo unter meinem Ausgangsgewicht. Die Hebamme fragte mich bei der Nachsorge, ob ich mein altes Gewicht schon wieder hätte und meine Schwester bemerkte äußerst charmant, dass ich "echt scheisse" aussehen würde."

"Ich wollte das alles so nicht, fühlte mich gestresst und voller Schuldgefühle meiner Kleinen gegenüber. Damals konnte ich meine Situation absolut nicht einordnen und hatte auch keine Ahnung, dass es anderen Frauen genauso geht wie mir. gerade für Erstgebärende ist das immer noch ein Tabuthema. Man wird zugeschüttet mit Hochglanzbroschüren und Werbung über die Erziehung und Förderung von Babys, in denen alle gut und glücklich aussehen. Und man selber steht nach einer von vielen Nächsten  im 3- Stunden- Takt vor dem Spiegel und mag sich eigentlich lieber nicht anschauen."

"Meinem Mann hatte ich durch meine Bedenken und meine Niedergeschlagenheit während der Schwangerschaft viel Freude und Unbeschwertheit genommen. Aus heutiger Sicht würde ich sagen, Kunststück, dass wir überhaupt noch verheiratet sind. Im ersten Jahr nach der Geburt haben wir entweder nicht miteinander geredet oder uns gestritten. Aber dann haben wir gerade noch die Kurve gekriegt. Meine Mutter und meine Schwester haben damals versucht, mich möglichst oft zu besuchen, obwohl beide zwei Autostunden entfernt wohnen. Später sagte mir meine Mutter mal, dass sie damals Angst hatte, ich würde es nicht schaffen. Bei der Familie meines Mannes und auch bei manchen Freunden und Bekannten hatte ich immer das Gefühl, sie wollen gar nicht hören. wie es mir wirklich geht. Irgendwie hatte ich immer den Eindruck, kein Recht auf unglückliche Gefühle zu haben. Immerhin hatte ich ja ein gesundes Baby, einen Mann, der arbeitet und sich um das Kind kümmert und ein schönes Zuhause."

"Unsere Kleine bekam damals in den ersten acht Monaten dreimal Antibiotika. Daraufhin suchte ich mit ihr eine Heilpraktikerin auf, die schließlich die ganze Familie homöopatisch behandelte, was uns sehr geholfen hat. Im Nachhinein denke ich, dass ein entsprechender Hinweis seitens der behandelnden Ärzte und der Hebamme für mich eine Hilfe gewesen wäre. Es gibt ja viele gute Therapeuten und Einrichtungen - aber die Kunst besteht darin, in einer für einen selber schwierigen Situation auch die richtige Hilfe zu finden."

"Nach sechs Jahren haben wir uns noch einmal getraut und ein zweites Kind bekommen und das war für mich auch sehr gut so. Da konnte ich dann wahrnehmen, was ich bis dahin alles geleistet hatte und wie die Schwangerschaft und die Zeit danach auch noch sein kann. Ich hatte mich diesmal gleich zu Beginn der Schwangerschaft um eine Beleghebamme gekümmert, was mir ein großes Gefühl von Sicherheit gab. Ansonsten hatte ich mich in den Jahren zuvor viel mit Bachblüten beschäftigt, konnte so selber auf Stimmungsschwankungen reagieren und fühlte mich nicht irgendwas und irgendwem ausgeliefert."

"Gegen Ende der zweiten Schwangerschaft hatte ich dann tatsächlich einmal so ein Gefühl wie davor die ganze Schwangerschaft lang. Ich bekam dann ein hochdosiertes homöopathisches Mittel von meiner Heilpraktikerin und fand so ganz schnell wieder meine Mitte."

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